Allgemeine Relativitätstheorie

Allgemeine Relativitätstheorie
Allgemeine Relativitätstheorie
 
In astronomischen Dimensionen ist die Gravitation die dominierende Wechselwirkung. Sie bestimmt nicht nur Entstehung, Aufbau und Entwicklung der Planeten, Sterne, Sternsysteme, Galaxien und Galaxienhaufen, sondern auch die globale Struktur und Entwicklung des Universums. Dies liegt daran, dass die gravitativen Kräfte — anders als die Kräfte im nuklearen Bereich — räumlich sehr weit wirken. Zudem sind sie — anders als die elektromagnetischen Kräfte — stets anziehend, nicht abschirmbar und haben additiven Charakter. Aus diesen Gründen muss jede physikalische Kosmologie in ihrem Kern eine Gravitationstheorie sein.
 
Die Forschungsarbeiten des 20. Jahrhunderts haben gezeigt, dass die von Albert Einstein 1916 veröffentlichte Allgemeine Relativitätstheorie nicht nur das gesuchte theoretische Fundament der modernen Kosmologie darstellt. Sie enthält auch die methodische Beschreibung, die notwendig ist, um das Universum mit seinen globalen und lokalen Strukturen als physikalisches Objekt zu definieren und theoretisch zu behandeln.
 
 Newtons Begriff von Raum und Zeit
 
Für Isaac Newton waren Raum und Zeit unabhängig von der Dynamik der in ihnen ablaufenden Prozesse. Dieser englische Gelehrte, der nach dem Willen seiner Mutter Landwirt werden sollte, hat das so formuliert: »Der absolute Raum bleibt vermöge seiner Natur und ohne Beziehung auf einen äußeren Gegenstand stets gleich und unbeweglich.« Und zum Thema Zeit stellte er fest: »Die absolute, wahre und mathematische Zeit verfließt an sich und vermöge ihrer Natur gleichförmig und ohne Beziehung auf irgendeinen äußeren Gegenstand. Sie wird mit dem Namen Dauer belegt.«
 
Raum und Zeit existieren in Newtons Vorstellung also getrennt voneinander und unbeeinflusst von physikalischen Körpern, Feldern und Vorgängen. Der Raum ist dreidimensional, unendlich ausgedehnt, homogen und isotrop; das heißt, er besitzt keinen Rand und auch keine bevorzugten Orte und Richtungen. Seine Geometrie ist euklidisch: Es gilt das Parallelenaxiom, und zwei verschiedene Punkte haben nie den Abstand null. (Das Parallelenaxiom besagt, dass es zu einer beliebigen Gerade und einem Punkt, der nicht auf dieser liegt, genau eine zu der ersten Gerade parallele weitere Gerade gibt, die durch diesen Punkt verläuft.) Die Zeit ist eindimensional und unendlich ausgedehnt, sie lässt sich nicht beeinflussen und verrinnt gleichförmig ohne Anfang und Ende.
 
Nach Newtons Mechanik gelten dieselben physikalischen Gesetze in allen Koordinatensystemen, die im absoluten Raum ruhen oder die sich relativ zu diesem geradlinig und gleichförmig bewegen. Eine Tasse, die in einem fest stehenden Haus zu Boden fällt, unterliegt denselben Naturgesetzen wie eine Tasse, die in einem Zug fällt, der mit konstanter Geschwindigkeit geradeaus fährt. Solche Bezugssysteme werden in der Physik als Inertialsysteme bezeichnet. Sie können durch eine Galilei-Transformation ineinander überführt werden. In diesem Zusammenhang spricht man von Galilei-Invarianz und vom Relativitätsprinzip der klassischen Mechanik.
 
 Der Raum-Zeit-Begriff der Speziellen Relativitätstheorie
 
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts unterzogen Wissenschaftler die von James Maxwell gefundenen Gesetze der Lichtausbreitung einer grundlegenden Analyse. Es zeigte sich, dass die Lichtausbreitung das Relativitätsprinzip der klassischen Mechanik bricht, wenn an Newtons Vorstellung von Raum und Zeit festgehalten wird. Albert Einstein konnte dann zeigen, dass die Relativität erhalten bleibt, wenn die Mechanik an die von der Lichtausbreitung erzwungene Raum-Zeit-Struktur angepasst wird.
 
Die wesentliche Änderung gegenüber Newton besteht darin, dass die Räume gleichzeitiger Ereignisse nicht mehr unabhängig von der Bewegung des Beobachters sind und damit auch der Begriff der Gleichzeitigkeit nicht. Das Ergebnis der Projektion eines Vorgangs auf die Zeitachse (oder einer räumlichen Figur auf einen Raum gleichzeitiger Ereignisse) hängt Einstein zufolge von der Bewegung des Beobachters ab. Raum und Zeit können nicht mehr getrennt untersucht werden. Physiker sprechen in diesem Kontext davon, dass Raum und Zeit eine vierdimensionale Welt bilden. Einstein formulierte diese Zusammenhänge 1905 in seiner Speziellen Relativitätstheorie, welche die Einsicht in die Forminvarianz der Naturgesetze zum Ausdruck bringt. Nur bei Relativgeschwindigkeiten, die gegenüber der Lichtgeschwindigkeit sehr klein sind, ergeben sich Verhältnisse, die sich mit Newtons Mechanik beschreiben lassen.
 
Als grundlegende Strukturelemente der vierdimensionalen Welt spielen in der Speziellen Relativitätstheorie die Begriffe »Ereignis« (oder »Weltpunkt«), »Weltlinie«, »Metrik« und »Lichtkegel« eine wichtige Rolle.
 
Der Lichtkegel eines Ereignisses teilt die vierdimensionale Raum-Zeit stets in zwei getrennte Gebiete. Das eine Gebiet hängt kausal mit dem Ereignis zusammen: Es besteht aus allen Ereignissen, die innerhalb des Lichtkegels und auf dessen Oberfläche stattfinden. Wenn auf der Kegelachse eine Zeitrichtung definiert ist, kann man von der Vergangenheit und der Zukunft des Ereignisses sprechen.
 
Einen vierdimensionalen Raum mit derartiger Struktur bezeichnet man nach dem deutsch-litauischen Mathematiker Hermann Minkowski als Minkowski-Welt. Die Geometrie der Minkowski-Welt ist »pseudoeuklidisch«: Das Parallelenaxiom gilt zwar auch hier, doch können zwei voneinander verschiedene Punkte den Abstand null haben. Die gerade Verbindung zwischen zwei Punkten ist hier die längste Verbindung.
 
 Der Raum-Zeit-Begriff der Allgemeinen Relativitätstheorie
 
Die Spezielle Relativitätstheorie hat sich rasch als umfassend gültige Theorie für fast alle Bereiche der lokalen Physik erwiesen. Einstein sah aber, dass die Gravitation sich in dieses Gedankengebäude nicht befriedigend einbinden lässt. Weil das Licht Energie transportiert, hat es eine träge und damit auch eine schwere Masse. Dies bedeutet, dass Lichtstrahlen vom Gravitationsfeld beeinflusst werden und deshalb kein von ablaufenden Prozessen unabhängiges Inertialsystem definieren können. Einstein war daher gezwungen, allgemeinere als inertiale Bezugssysteme einzubeziehen und legte 1916 seine Allgemeine Relativitätstheorie vor. Ihre Basis sind:
 
(1) Die Beobachtung, dass in einem gegebenen Gravitationsfeld alle Körper unabhängig von ihrer Masse gleich schnell fallen. Das Fallgesetz hängt nicht von irgendwelchen Eigenschaften der Körper ab, sondern ist ein rein »geometrisches« Gesetz. Diese Tatsache bezeichnet man auch als »Universalität der Gravitation«. Sie beruht auf der Proportionalität von träger und schwerer Masse.
 
(2) Die Einsicht, dass für einen in einem konstanten Gravitationsfeld frei fallenden, nicht rotierenden Beobachter die gleichen physikalischen Gesetze (abgesehen von der Gravitation) gelten wie für einen ohne Gravitationsfeld ruhenden Beobachter. Heften wir an den frei fallenden Beobachter ein cartesisches Koordinatensystem, so ruht der Beobachter bezüglich dieses Systems — es ist für ihn also ein Inertialsystem.
 
Dies führt zu folgender grundlegenden Aussage, die wir als Einsteins Äquivalenzprinzip bezeichnen: An jedem Punkt der Raum-Zeit mit einem beliebigen Gravitationsfeld ist es stets möglich, ein lokales Inertialsystem so zu wählen, dass in einer hinreichend kleinen Umgebung des betrachteten Punkts (innerhalb deren die Gravitation konstant ist) die Naturgesetze dieselbe Form annehmen wie in einem unbeschleunigten cartesischen Koordinatensystem ohne Gravitationsfeld.
 
Anschaulich gesprochen beantwortet das Äquivalenzprinzip die wichtige Frage: »Was geschieht den Naturgesetzen in einem Gravitationsfeld?« Die Antwort heißt lapidar: »Lokal geschieht ihnen nichts, global etwas.« Die Tatsache, dass die Gravitation in der lokalen Physik nicht mehr in Erscheinung tritt, sondern sich nur noch global in der geometrischen Struktur der Raum-Zeit manifestiert, bezeichnet man auch als »Geometrisierung der Gravitation«. Gravitative Wirkungen sind demnach nichts anderes als Effekte der Krümmung der Raum-Zeit auf die physikalischen Objekte.
 
Die in der Allgemeinen Relativitätstheorie vollzogene Verschmelzung von Physik und Raum-Zeit-Struktur macht die physikalische Theorie nicht nur logisch einheitlicher und einfacher, sondern erklärt auch Effekte, die mit Newtons Physik nicht zu erhellen sind. So liefert die berühmte Theorie von Einstein den richtigen Wert für die Ablenkung der Lichtstrahlen im Gravitationsfeld schwerer Massen. Zudem erklärt sie exakt den sonst unbegründbaren Rest der Periheldrehungen von Planetenbahnen, und sie erläutert die Wellenlängenänderung des Lichts.
 
 Einsteins Feldgleichungen
 
In der Beschreibung der Raum-Zeit-Struktur und der dort ablaufenden Vorgänge durch die Allgemeine Relativitätstheorie zeigt sich die gegenseitige Bedingtheit von Raum-Zeit-Struktur und Materieverteilung. Die Raum-Zeit-Struktur bestimmt die Bewegung und Lagerung der Materie, und umgekehrt beeinflusst die Materieverteilung die Raum-Zeit-Struktur.
 
Diese Symmetrie erfordert, dass bei der mathematischen Formulierung der Theorie die »geometrische« und die »physikalische« Seite des Problems in gleicher Weise eingehen müssen. Mathematisch ausgedrückt wird dieser Zusammenhang durch zehn partielle Differenzialgleichungen. Diese Gleichungen für das Gravitationsfeld bezeichnet man als Einstein'sche Feldgleichungen. Die in ihnen auftretende Naturkonstante κ verknüpft die physikalischen Größen der einen Seite mit den geometrischen Objekten der andern Seite und heißt Einstein'sche Gravitationskonstante. Mit Newtons Gravitationskonstante G und der Lichtgeschwindigkeit c hängt sie wie folgt zusammen: κ = 8πG/c 4.
 
Auf einen homogenen und isotropen Kosmos angewandt, reduzieren sich die Feldgleichungen im Wesentlichen auf die griffige Formel: Weltkrümmung = κ·Massedichte.
 
Prof. Dr. Erwin Sedlmayr, Dipl.-Phys. Karin Sedlmayr und Dr. Achim Goeres
 
Grundlegende Informationen finden Sie unter:
 
Kosmologie und Weltmodelle
 
 
Cambridge-Enzyklopädie der Astronomie, herausgegeben von Simon Mitton. Aus dem Englischen. Sonderausgabe München 1989.
 
Der große JRO-Atlas der Astronomie, herausgegeben von Jean Audouze u. a. Aus dem Französischen. München 21990.
 Goenner, Hubert: Einführung in die Kosmologie. Heidelberg u. a. 1994.
 Hawking, Stephen W.: Eine kurze Geschichte der Zeit. Aus dem Englischen. TaschenbuchausgabeReinbek 456.-475. Tausend 1998.
 Henkel, Hans Rolf: Astronomie. Thun u. a. 41991.
 Herrmann, Joachim: dtv-Atlas zur Astronomie. Tafeln und Texte. Mit Sternatlas. München 111993.
 Herrmann, Joachim: Großes Lexikon der Astronomie. München 41986.
 
Lexikon der Astronomie, bearbeitet von Rolf Sauermost, 2 Bände, Lizenzausgabe Heidelberg u. a. 1995.
 Liebscher, Dierck-Ekkehard: Kosmologie. Leipzig u. a. 1994.
 
Meyers Handbuch Weltall, Beiträge von Joachim Krautter u. a. Mannheim 71994.
 Schwinger, Julian: Einsteins Erbe. Die Einheit von Raum und Zeit. Aus dem Amerikanischen. Heidelberg 21988.
 Silk, Joseph: Der Urknall. Die Geburt des Universums. Aus dem Englischen. Basel u. a. 1990.
 Smolin, Lee: Warum gibt es die Welt? Die Evolution des Kosmos. Aus dem Amerikanischen. München 1999.
 Unsöld, Albrecht und Baschek, Bodo: Der neue Kosmos. Berlin 51991.
 Voigt, Hans-Heinrich: Abriß der Astronomie. Mannheim u. a. 51991.
 Weigert, Alfred und Wendker, Heinrich J.: Astronomie und Astrophysik. Ein Grundkurs. Weinheim u. a. 31996.
 Zimmermann, Helmut und Weigert, Alfred: ABC-Lexikon Astronomie. Heidelberg u. a. 81995.

Universal-Lexikon. 2012.

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